Tausenden von Schmetterlingen jagen Schweizer Forscher auf Alpenpässen nach, um sie mit Filzstift zu markieren. Ihr Ziel ist, die Wanderrouten der Tiere auf ihrem Weg nach Süden zu entschlüsseln.
«Pamela, links von dir!» Die Studentin Pamela Terry sieht den Falter. Sie sprintet ein paar Meter und schwingt ein Schmetterlingsnetz in seine Richtung. Doch der Falter ändert im letzten Moment abrupt seine Flugbahn und entgeht dem Kescher der Forscherin um Handbreite.
Was entfernt an eine Freiluftversion von Badminton erinnert, ist tatsächlich eine grosse Schmetterlings-Fangaktion, die Wissenschaftler der Universität Bern im Val d’Illiez am Westende des Wallis durchführen. Sie wollen mehr über die Reiserouten von Wanderfaltern herausfinden.
Jeden Herbst machen sich Hunderttausende von Tagfaltern aus Nordeuropa auf den langen Weg in den Mittelmeerraum, um der Winterkälte zu entrinnen. Unter ihnen finden sich Arten wie Admiral, Distelfalter oder verschiedene Weisslinge. «Wir wissen praktisch nichts über ihre Reiserouten», sagt Ökologe Myles Menz von der Gruppe Synökologie an der Universität Bern. «Aber die Bewegungen von Wanderinsekten haben Einfluss auf andere Tiere wie etwa Fledermäuse, die sie als Nahrungsquelle nutzen.» Deshalb sei es wichtig, sie zu erforschen.
Insbesondere interessiert sich Menz für den Admiral. «Er ist der auffälligste tagaktive Wanderfalter Europas und lässt sich darum sehr gut beobachten», sagt er.
Der Admiral ist eigentlich ein Südländer, der jedes Frühjahr auf der Suche nach Futter aus dem Mittelmeerraum nordwärts bis nach Skandinavien zieht. Es ist eine Reise, die sich über mehrere Generationen hinzieht. Im Herbst fliegen die Ur-Ur-Urenkel wieder zurück zum Mittelmeer.
Tal als natürlicher Trichter
Von den Tagfaltern weiss man bislang nur, dass eine grosse Zahl von ihnen durch das Val d’Illiez fliegt. Von steilen Felswänden flankiert, fungiert das Tal als natürlicher Trichter. Dieser leitet jeglichen tierischen Flugverkehr auf knapp 2000 Metern über Meer über den Pass Col de Bretolet nach Frankreich. Hier haben sich die Forscher postiert.
30 Kilometer nördlich am Col de la Croix im Kanton Waadt hat sich eine zweite Gruppe von Schmetterlingsfängern aufgestellt. Sie markiert den ganzen Tag Tausende von Tieren mit Filzstift und lässt sie anschliessend wieder frei. Menz und seine Mitarbeiter versuchen nun, diese gekennzeichneten Falter auf ihrem Flug nach Süden wieder einzufangen.
Damit das klappt, haben Menz und seine Leute am Col de Bretolet auf einer Länge von 60 Metern ein feinmaschiges Netz gespannt. Seine Funktion ist es, die mit rund 30 Kilometern pro Stunde herannahenden Schmetterlinge zu verlangsamen. Diese nehmen das Netz bereits aus einigen Metern Entfernung als Hindernis wahr und bremsen ihren Flug ab. Das ist die Chance für die Forscher.
Laien helfen mit
Inzwischen ist der Kescher von Menz ziemlich voll. Mit einer Hand greift er hinein und zieht den ersten Schmetterling heraus. Dabei fasst er ihn nicht an den Flügeln, sondern vorsichtig am Körper. Mit dem Daumen der zweiten Hand öffnet Menz nun behutsam die Flügel des Admirals. «Es ist jedes Mal, als ob man ein Tombola-Los aufmacht», sagt er. Der erste Preis ist ein Wiederfang eines markierten Admirals vom Col de la Croix. Doch Menz hat kein Glück. Es sind alles «Nieten». «In der Regel rechnet man mit einem Wiederfang pro 1000 markierten Tieren», sagt er.
Jeden Falter bemalt er nun seinerseits mit einem orangen Punkt auf dem linken Flügel. Er steht für das heutige Datum. Auf dem rechten Flügel bekommt er einen grünen Punkt. Der steht für den Ort. Dann wirft er den Schmetterling in die Luft, der in wenigen Sekunden in den stahlblauen Himmel entschwindet.
Weiter südwärts wartet zwar keine weitere Forschergruppe mit Keschern auf sie. Dafür aber gibt es Tausende von Schmetterlingsliebhabern, die in ihrer Freizeit mit einer Kamera oder dem Smartphone Faltern nachstellen und jede Beobachtung auf entsprechenden Webportalen melden. Vernetzt sind sie untereinander via Twitter und Facebook. Über diese Kanäle lassen sie sich auch mobilisieren.
Wie ein Sechser im Lotto
Das übernimmt Marco Thoma, der im Rahmen seiner Doktorarbeit die Wanderung des Admirals erforscht. Am Ende der zweitägigen Fangaktion schreibt er auf Twitter: «7000 Admirale wurden in der Schweiz markiert. Sie bewegen sich nun südwärts. Bitte meldet Sichtungen.»
«Es ist das erste Mal, dass wir die Öffentlichkeit bei unserer Forschung miteinbeziehen», sagt Thoma. Die Idee stammt aus den USA. Dort hat man mit dieser Methode die Reiserouten des Monarchfalters rekonstruieren können.
Es ist jetzt später Nachmittag, aber bisher ging noch kein markierter Falter ins Netz. «Ich hab’ einen!», ruft plötzlich Pamela Terry. In ihrem Kescher flattert ein markierter Schmetterling vom Col de la Croix. Es ist ein Sechser im Lotto. Bis zum Abend fangen die Forscher noch vier weitere markierte Falter – eine wissenschaftliche Sensation. «Damit haben wir ein erstes Teilstück der Flugroute des Admirals nachgewiesen», sagt Menz. Nun ist es an den Freiwilligen in Frankreich und Spanien, markierte Falter zu entdecken und so der Wanderkarte der Schmetterlinge ein weiteres Puzzleteil hinzuzufügen.
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