MEDIZIN Bei schweren Depressionen können Medikamente helfen. Deshalb werden sie selbst Kindern verabreicht. Doch ob die Mittel mehr nutzen als schaden, ist noch immer nicht geklärt.

Schon Kinder können unter Depressionen leiden. iStock

Nicht nur Erwachsene können Depressionen haben: Auch bis zu drei Prozent der sechs- bis zwölfjährigen Kinder sind davon betroffen, bei Jugendlichen bis 18 Jahre sind es gar sechs Prozent. Die Störung äussert sich häufig in Niedergeschlagenheit und extremer Antriebslosigkeit während mehrerer Wochen. Jüngere Kinder hören oft ganz auf zu spielen, verlieren das Interesse an ihrer Umwelt und entwickeln Symptome wie Bauch- oder Kopfschmerzen. «Wir behandeln dann immer zuerst ohne Medikamente, mit einer Psychotherapie», sagt Alain Di Gallo, Direktor der Kinder und Jugendpsychiatrischen Klinik Basel. Doch in schweren Fällen erhalten die jungen Patienten auch Antidepressiva (siehe Box).

 

Viele Studien mangelhaft

Allerdings ist umstritten, wie wirksam diese sind. Diese Frage wollten nun Forschende der Universität Oxford klären. Sie verglichen 34 Studien mit mehr als 5200 Teilnehmern, in denen Kinder und Jugendliche mit verschiedenen Antidepressiva behandelt worden waren. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Wirksamkeit ist bei den meisten der 14 untersuchten Medikamente unklar. Denn die Studien liefern kein einheitliches Bild: In einigen zeigte ein bestimmtes Antidepressivum eine gute Wirksamkeit, in anderen keine. «Das hat mehrere Gründe», sagt Studienautor Andrea Cipriani. Zum einen seien einige der Studien mangelhaft, sodass man den Resultaten nicht ganz trauen könne. Dies, obwohl die Forscher bereits sorgfältig ausgewählt hatten: Von mehr als 7000 gefundenen Studien erfüllten nur 34 wenigstens die grundlegenden Qualitätsanforderungen.

 

Ein anderer Grund für die unklare Wirksamkeit ist, dass jeder Patient unterschiedlich ist. Bis heute kennen Ärzte keine klaren Kriterien, anhand deren sie im Voraus erkennen können, bei wem ein Mittel gegen Depressionen wirkt. Das bestätigt Psychiater Di Gallo: «Im Moment müssen wir einfach ausprobieren, ob es hilft.»

 

Ein Dilemma für Ärzte, aber vor allem für Patienten. Denn im schlimmsten Fall haben die Medikamente schwere Nebenwirkungen bis hin zu verstärkten Selbstmordgedanken.

 

Ob ein Patient das Medikament trotzdem erhält, müsse daher sorgfältig abgewogen und eng begleitet werden, so Di Gallo. Doch könne der Einsatz entscheidend für den Therapieerfolg sein – und daher wichtig und sinnvoll. Das sieht auch Cipriani so: «Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass alle Antidepressiva nutzlos sind.» Doch müsse endlich geklärt werden, welche am besten wirken und vor allem bei wem. Dafür brauche es mehr und bessere Studien mit Kindern und Jugendlichen, welche auch die individuelle Patientengeschichte einbeziehen.

 


Fehlende Alternativen

Zwar ist in der Schweiz kein einziges Antidepressivum für Kinder und Jugendliche zugelassen, da die Medikamente bei ihnen nicht ausreichend getestet sind. Ärzte dürfen sie nach Absprache mit Betroffenen und deren Eltern aber dennoch einsetzen – ein sogenannter Off-Label-Gebrauch. ho

 


Link zur Studie (Englisch)

 

Claudia Hoffmann 

 

 


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