Millionen von männlichen Küken werden jedes Jahr getötet, weil ihre Aufzucht sich nicht lohnt. Ändern könnte sich das durch eine neue Methode, welche bereits im Ei die Bestimmung des Geschlechts ermöglicht.

 

Frisch geschlüpfte Küken: Zum Eierlegen taugen später nur die Weibchen, deshalb werden die Männchen gleich am ersten Lebenstag getötet. Foto: ISTOCK

Wie flauschige gelbe Bällchen sehen die Küken aus, die aufgeregt piepsen und durcheinanderwuseln. Doch kaum aus dem Ei geschlüpft, geht für die Hälfte von ihnen das Leben jäh zu Ende. Jährlich werden in der Schweiz 2,4 Millionen Küken getötet, nur weil sie Männchen sind. Der Grund: In der Zucht von Legehennen braucht man nur Weibchen. Die Männchen sind nutzlos. Sie taugen weder zum Eierlegen noch für die Fleischproduktion. Denn Rassen, die auf das Legen optimiert sind, setzen nicht schnell genug Fleisch an. Deshalb werden die Männchen vergast. (Video)

 

Doch mit der massenhaften Tötung männlicher Küken könnte nun bald Schluss sein – dank Forschenden der Universitäten Dresden und Leipzig. Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich das Geschlecht eines Hühnerembryos schon im Ei bestimmen lässt. Bis 2017 wollen sie den Prototyp eines Geräts fertigstellen, das die Geschlechtsbestimmung automatisch vornimmt. «Männliche Küken müssten dann gar nicht erst ausgebrütet werden», sagt Projektmitarbeiter Gerald Steiner von der Technischen Universität Dresden. Stattdessen könnte man die Eier schon lange vor dem Schlüpfen aussortieren – nach nur drei Tagen Bebrütung.

 

Kein Schmerzempfinden

«Das hat einen entscheidenden Vorteil», sagt Steiner. Zu diesem Zeitpunkt spürt der Hühnerembryo noch keinen Schmerz, weil das Nervensystem nicht voll ausgebildet ist. Hingegen haben sich bereits Blutgefässe entwickelt, in denen Blutzellen des Embryos zirkulieren.

 

Dies nutzen die Forschenden, um das Geschlecht zu bestimmen. Denn die Zellen enthalten die komplette Erbinformation, einschliesslich der Geschlechtschromosomen. Da die männlichen Geschlechtschromosomen etwas grösser sind als die weiblichen, enthalten die Zellen der männlichen Embryonen mehr Erbmaterial. Das lässt sich mit Hilfe der sogenannten Raman-Spektroskopie messen.

 

Um sie anwenden zu können, schneidet zunächst ein Laser ein etwa einen Zentimeter grosses Loch in die Eierschale (siehe Grafik). Anschliessend bestrahlt ein Gerät den Embryo mit Infrarotlicht, welches von den Blutzellen gestreut wird. Ein Computerprogramm analysiert das Streuungsmuster und erkennt, ob es sich um ein Männchen oder ein Weibchen handelt. Nun können die männlichen Eier aussortiert werden. Weil sie schon einen Embryo enthalten, darf man sie zwar nicht mehr für die Lebensmittelherstellung nutzen. Aber: «Eine Verwendung der chemischen Bestandteile für die Industrie ist denkbar», sagt Steiner.

Geschlechtsbestimmung beim Ei. Grafik: Dissoid.com

 

Tests erfolgreich

Aus Eiern mit weiblichen Embryonen sollen später Legehennen schlüpfen. Deshalb wird das Loch in der Schale wieder verschlossen – mit einer Art Klebstreifen, wie er etwa auch in der Chirurgie Verwendung findet. «Das verhindert, dass Keime eindringen oder das Ei austrocknet», sagt Chemiker Steiner.

 

Dass sich trotz dieser Prozedur noch gesunde Küken entwickeln, konnten die Wissenschaftler in Versuchen mit mehr als 1000 Eiern belegen. Daraus schlüpften nur wenige Prozent weniger Küken als aus unbehandelten Eiern. Auch scheint die Geschlechtsbestimmung zuverlässig zu funktionieren: Aus 30 Eiern, die ausschliesslich mit Hilfe der neuen Methode sortiert wurden, sind vor wenigen Tagen die ersten Küken geschlüpft. «Bis jetzt alles Weibchen», freut sich Steiner.

 

Die Methode sollte möglichst rasch in kommerziellen Brütereien zum Einsatz kommen, fordert der Agraringenieur Cesare Sciarra vom Schweizer Tierschutz: «Das wäre eine enorme Verbesserung gegenüber der heutigen Praxis.» In den meisten Brütereien werden männliche Küken mit Kohlendioxid vergast, wodurch der Tod innerhalb weniger Sekunden eintreten sollte. Doch in der Realität sehe es manchmal anders aus, sagt Sciarra. Wenn beim Umgang mit den Geräten Fehler gemacht werden, dauere der Todeskampf länger. Zudem sei es ethisch verwerflich, die Tiere aus wirtschaftlichen Gründen auszubrüten, nur um sie hinterher zu töten.

 

Verteuerung befürchtet

Auch aus Sicht von Oswald Burch, Geschäftsführer der Vereinigung der Schweizer Geflügelproduzenten Gallosuisse, wäre eine Alternative zur jetzigen Praxis wünschenswert. Allerdings fürchtet er, dass die neue Methode die Produktion in der Schweiz teurer machen wird. Die Entwickler aus Deutschland rechnen zwar nur mit Mehrkosten für die Brütereien von 1 bis 2 Eurocent pro Ei. Doch selbst das würde sich bei fast 900 Millionen Eiern, die in der Schweiz jährlich produziert werden, summieren. «Es darf nicht sein, dass die Produzenten allein auf den Kosten sitzen bleiben», sagt Burch. «Die Konsumenten müssen bereit sein, höhere Preise zu zahlen.»

 

Verbote geplant

Ob die Praxis der Kükentötung ohne gesetzlichen Druck ein Ende findet, ist allerdings fraglich. Erst vor wenigen Tagen hat das Landesgericht Münster eine Klage der Tierschutzorganisation Peta gegen eine Brüterei abgewiesen. Zwar dürfen laut deutschem Tierschutzgesetz Tiere nur mit vernünftigem Grund getötet werden. Einen solchen hätten aber die Brütereien, befanden die Richter. Nun planen immerhin mehrere deutsche Bundesländer, ein Verbot zu erlassen. Anders ist das in der Schweiz: Hierzulande gibt es bisher keinerlei Bestrebungen, die Tötung männlicher Küken zu verbieten.

 

Claudia Hoffmann 

 

 


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