Die Messgeräte, mit denen Physiker grosse ­Entdeckungen machen, sind extrem störanfällig. So kommt es schon mal zu gröberen ­Fehlern, wie konkrete und brisante Beispiele zeigen.

 

Hochempfindliche Messgeräte wie der CMS-Detektor am Cern sind extrem anfällig für Störsignale. Foto: CERN

Vor zwei Wochen verkündeten Forscher die sensationelle Neuigkeit: Sie hatten erstmals Gravitationswellen gemessen, nach denen sie jahrzehntelang gesucht hatten. Doch können sie sich wirklich sicher sein?

 

Denn das Signal, das die Messgeräte registriert haben, ist unvorstellbar klein. Die Gravitationswelle hat die 4 Kilometer langen Arme der Ligo-Messapparatur lediglich um einen Tausendstel des Durchmessers eines Wasserstoffkerns gestaucht und gestreckt. Auf einen grösseren Massstab übertragen, ist das so, als müsste man messen, ob sich die gesamte Milchstrasse um eine Armlänge vergrössert oder verkleinert.

 

Um überhaupt ein so winziges Signal wie das einer Gravitationswelle wahrnehmen zu können, müssen die Messgeräte extrem empfindlich sein. «Unsere Interferometer springen schon an, wenn jemand im angrenzenden Bürogebäude eine Tür schliesst», sagt Andrew Lundgren vom Albert-Einstein-Institut in Hannover und Mitglied der Ligo-Arbeitsgruppe, welche die Gravitationswellen gemessen hat. Es stellt sich also die Frage: Wie können die Forscher ausschliessen, dass ihre Apparaturen ein kaum spürbares Erdbeben, einen geheimen Atomwaffentest oder irgendeine andere Erschütterung registriert haben?

 

Voreilige Forscher

Es wäre nicht der erste Fall, bei dem Forscher mit einer vermeintlich bahnbrechenden Entdeckung voreilig an die Öffentlichkeit gingen. Schon im März 2014 wollten Forscher einer Arbeitsgruppe aus Kanada, Grossbritannien und den USA bestimmte Gravitationswellen nachgewiesen haben: das sogenannte Echo des Urknalls. Bei der Entstehung des Universums entstanden nach der gängigen Theorie Gravitationswellen, welche die kosmische Hintergrundstrahlung beeinflussen.

 

Diesen Effekt glaubten die Forscher gemessen zu haben. Ohne die übliche Begutachtung durch Fachkollegen abzuwarten, verkündeten sie das Ergebnis an einer grossen Medienkonferenz. Im Nachhinein wurde klar, dass der gemessene Effekt in der Hintergrundstrahlung lediglich von kosmischem Staub stammte – nicht von Gravitationswellen. Kleinlaut zogen die Forscher ihre Ergebnisse im Januar 2015 zurück.

 

Ein ähnliches Fiasko erlitten Physiker der internationalen Opera-Arbeitsgruppe. Diese hatten zwischen 2008 und 2011 Teilchen – sogenannte Neutrinos – gemessen, die vom Cern in Genf unterirdisch rund 730 Kilometer weit zum Gran-Sasso-Labor in den italienischen Abruzzen geflogen waren. Das Erstaunliche daran war, dass die Neutrinos scheinbar schneller unterwegs waren als das Licht. Dieser Befund hätte Einsteins Spezielle Relativitätstheorie, einen der Grundsteine der modernen Physik, erschüttert. Doch auch hier hatten die Forscher sich geirrt: Nach fünf Monaten Suche fanden sie ein loses Kabel in der Apparatur, das die Messungen verfälscht hatte.

 

Störanfällige Instrumente

Wie die Empfindlichkeit der Messinstrumente diese oft schon für die kleinsten Störungen anfällig macht, zeigt auch das Beispiel des LEP-Beschleunigers des Cern. Dieser Vorgänger des Large Hadron Collider (LHC) war von 1989 bis 2000 in Betrieb. Über Jahre trat immer um die gleiche Uhrzeit eine seltsame Störung auf: Die im LEP-Ring umlaufenden Teilchen wurden leicht von ihrer normalen Flugbahn abgelenkt. Lange rätselten die Forscher über den Grund. Bis endlich 1995 Messungen im Genfer Hauptbahnhof die Lösung brachten. Immer wenn ein TGV-Zug abfuhr, gelangte ein Teil des elektrischen Stroms von der Oberleitung über die Schienen in den Boden. Dieser Leckstrom suchte sich den Weg des geringsten elektrischen Widerstands und floss deshalb durch den Beschleunigertunnel statt durch das umliegende Erdreich. Das erzeugte die Störung in den Messungen.

 

Um solche Reinfälle zu vermeiden, haben die Forscher der Ligo-Arbeitsgruppe vorgesorgt. Die Instrumente sind so erschütterungsfrei wie möglich aufgestellt. Mit Seismografen und unzähligen weiteren Sensoren wird die Umgebung rund um die Uhr überwacht, um Störsignale zu identifizieren. Bevor die Messungen starten konnten, mussten der Physiker Andrew Lundgren und seine Kollegen zunächst alle denkbaren Störfaktoren ausfindig machen und diese sogar selbst erzeugen. «Wir rannten, stampften und fuhren mit Autos auf dem Parkplatz herum», berichtet Lundgren. Zudem wurden die verschiedensten Störquellen am Computer simuliert. Auf diese Weise haben die Forscher gelernt, die Störungen zu erkennen und später aus den Messdaten herauszufiltern.

 

Hoffnung auf Bestätigung

Am 14. September – da liefen die Messgeräte gerade mal seit zwei Tagen und waren eigentlich noch im Testmodus – kam das entscheidende Signal. Mehrere Umstände sprechen dafür, dass den Physikern damit tatsächlich die bisher schwer fassbaren Gravitationswellen ins Netz gegangen sind. Zum einen sieht die gemessene Welle genau so aus wie in den Computersimulationen, die die Ligo-Forscher auf Basis der Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie durchführten. Vorhersage und gemessenes Signal stimmen also sehr gut überein. Zum anderen deutet der Zeitunterschied, mit dem die Welle von den beiden Interferometern registriert wurde, auf eine sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitende Gravitationswelle hin. «Ein Beben hätte sich viel langsamer ausgebreitet», sagt Lundgren.

 

Auch Philippe Jetzer, Kosmologe und Experte für Gravitationswellen an der Universität Zürich, ist überzeugt, dass Ligo eine echte Entdeckung gelungen ist. «In den kommenden Jahren werden die Ligo-Instrumente noch einmal empfindlicher werden», sagt Jetzer. Ausserdem seien weitere Instrumente geplant, die unabhängig von Ligo nach Gravitationswellen horchen sollen. Er erwarte deshalb, dass bis 2020 noch weitere Gravitationswellen entdeckt werden. «Das wird den jetzigen Nachweis bestätigen», prognostiziert der Physiker.

 

Leonid Leiva Ariosa 

 

 


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